Corte Corto – Conto Curto
[Hektik im Schneegestöber. Alles andere geht darin unter. Schritte, Rufe, klopfende Herzen. Gerüche, Düfte gefrieren zu Schneeflocken. Für jede Nuance eine eigene Form.]
„Nimm meine Hand.“
„Was hast du vor?“
„Einfach gut festhalten.“
„Weshalb die Eile?“
„Wir fliehen.“
„Wohin?“
[Im Winter spielt sich das Drama im Innern ab.]
[Der erste Akt. Es ist Frühling. Kindheit.]
„Gefällt’s dir hier?“
„Weshalb hast du mich hierher gebracht?“
„Gefällt’s dir?“
„Unter diesen Bäumen sass ich oft als Kind.“
[Der laue Wind streicht durch ihr leichtes, noch dünnes Haar. Sie schliesst die Augen. Da ist ein neuer Duft. Salzig klebt er auf ihren Lippen.]
„Du bist kein Kind mehr.“
„Da hinter den Hügeln ist das Meer.“
[Er küsst sie. Sie schmeckt ihn ab. Hochsommer.]
„Ich geh jetzt eine Runde schwimmen.“
[Eintauchen. Mit geschlossenen Augen unter Wasser. Er erwähnt den Herbst, doch sie hört ihn nicht. Es ist, als schwebte sie. Die Luft geht ihr aus, sie taucht auf. Öffnet die Augen.]
„Wo bist du?“
[Im Auto. Im Rücken das Meer, auf den Lippen ihren Geschmack. Noch immer.]
„Reife Felder“
[schreibt er in sein Tagebuch. Und:]
„Es ist Herbst.“
[Er beschleunigt seinen Wagen. Plötzlich eilt die Zeit.]
„Was für ein Zufall!“
„Wie die Zeit vergeht.“
„Ich rieche den Winter.“
[Der Winter hat keinen Geruch.]
„Es ist der Herbst. Riechst du nicht das Laub?“
[Hier sollte der erste Akt enden, damit der zweite folgen kann. Doch der Vorhang fällt nicht.]
„Es ist kalt.“
„Es ist Winter.“
„Umarme mich.“
„Küss mich.“
[Er küsst sie. Es ist Winter. Sie schmeckt ihn nicht.]
[Der Vorhang fällt. Sie geht ab.]
„Das war kein Drama.“
[Er hat recht. Es waren Erinnerungen. Erinnerungen spielen sich im Innern ab. Noch ist Winter. Bald ist Frühling. Er hofft auf einen zweiten Akt.]
zu.
Text: 2006, Markus A. Hediger